Kampfgeist in Indien – Wieso Wohlstand und Armut manchmal sehr nah beieinander liegen
Vor einigen Jahren, als ich in Mumbai eine Geburtstagsparty zusammen mit Freunden vorbereitet habe und mit einem Freund bei einer Bäckerei Kuchen besorgen wollte, kam uns ein kleiner Junge (ungefähr 10 Jahre alt) mit sehr abgetragener Kleidung und abgetretenen Schuhen entgegen und bat uns um Geld.
Meine Begleitung, welche sehr offenen gegenüber fremden Menschen ist, unterhielt sich mit dem sehr aufgeweckten Jungen, so dass wir einiges aus dem Alltag des Jungen erfuhren. Aus unserer Sicht hörte sich das nicht sehr „kindgerecht“ an und das Mitleid schlich sich in uns hoch. Meine Begleitung bot dem Jungen am Ende des Gesprächs an, am nächsten Tag zu ihm ins Büro zu kommen, denn er hätte einen Job für ihn. Zu unserem Erstaunen antwortete der Junge sehr selbstsicher und schlagfertig und mit einem breiten Grinsen, dass er das nicht wolle. Er würde ungern seine Unabhängigkeit und die damit verbundene Flexibilität aufgeben. Wir waren ziemlich sprachlos.
Dieser Junge hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich hatte das Gefühl, dass er mit seiner Einstellung in Bezug auf Unabhängigkeit und Flexibilität viele seiner Landsleute vertritt. Und das ist mit einem Ehrgeiz verbunden, unabhängig von den Umständen, trotzdem im Leben etwas zu erreichen. Vor allem in materieller Hinsicht.
Also, selbstverständlich spreche ich nicht von denjenigen, die wirklich tagtäglich über das nackte Überleben kämpfen, schauen müssen, wo sie die nächste Mahlzeit für sich und ihre Familie bekommen, und wo sich die nächste Übernachtungsmöglichkeit bietet.
Was ich meine ist, dass in Indien die Menschen versuchen alles irgendwie möglich zu machen. Es gibt für alles eine Lösung. Und wenn es noch so lange dauert dahin zu kommen. Was zählt ist Ausdauer und Fleiß.
Unabhängig davon wie heiß es ist, wie weit außerhalb man von einer Metropole lebt, wie viele Überschwemmungen man durch den Monsun ertragen musste, man behält das Ziel im Auge und lässt sich nicht vom Weg abbringen. Eine Kombination aus Schicksalsergebenheit und „Das-Beste-aus-der-Situation- machen“, lässt Inder erfinderisch machen. Und bei Erfolg, steigt der Ehrgeiz, es wieder zu versuchen und nicht aufzugeben. Also „Trial and Error“.
Außerdem verleitet der wirtschaftliche Boom die Menschen dazu daran teilhaben zu wollen. Dass die Inder erfinderisch sind, zeigt die Initiative „Jugaad Innovation“ aka „Frugal Innovation“, was so viel wie „erfinderisch“ bzw. erfinderische Innovation bedeutet. Hier werden Produkte in einem Schwellenland konzipiert und entwickelt, die dann später durch „Reverse Innovation“ bzw. „Umkehr-Innovation“ auch den Weg in westliche Länder finden (der sog. Bottom-Up-Ansatz, also von unten nach oben). Davon gibt es eine Menge.
Es gibt eine enorme Start-Up-Kultur in Indien und enorm viele, die damit auch noch erfolgreich sind. Millionäre sprießen quasi wie Pilze aus den Böden.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass man sich in der westlichen Welt, eher missgünstig erfolgreichen Menschen gegenüber ist und sich eher darüber freut, wenn jemand nicht erfolgreich ist. Ja, ich wage es sogar, Schadenfreude zu nennen. Endlich ist das Scheitern eingetreten, das man vorausgesagt, wenn nicht sogar gewünscht hatte. Scheitern ist, in etwas nicht erfolgreich zu sein. Mich hat dies aber immer wieder zum Aufstehen gebracht und meinen Ehrgeiz erst recht geweckt. Denn Scheitern gibt es nicht, sondern nur Lektionen.
Jeder in Indien möchte Teil dieses Booms sein. Wie auch immer, in welcher Schicht auch immer. Durchbeißen gehört zum indischen Traum. Dazu gehört es eben auch mal nicht erfolgreich zu sein. Das haben vor allem erfolgreiche Menschen weltweit gemein.
Die Bedeutung von Ehrgeiz ist „die Eigenschaft, dass man sich sehr anstrengt, um viel zu leisten und dafür Anerkennung zu erhalten.“
Beobachten wir weiterhin, wie sich die Gesellschaft in Indien entwickelt, und ob der Hunger nach Erfolg (mag er materiell sein oder rein intrinsische Faktoren) weiterhin anhält. Aus kultureller Hinsicht, würde ich behaupten, dass da noch eine Weile anhält.
Text: Purvi Shah-Paulini
Bild: Purvi Shah-Paulini
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