Warum Kommunikationsfähigkeit so wichtig ist
Kommunikation als Flaschenhals zur Zukunft
Oder: Die Relevanz analoger Fähigkeiten im digitalen Zeitalter
Wir leben in einer zunehmend digitalisierten Welt. Menschen sind aber analoge Wesen. In Schwellenländern wie Indien wird diese Diskrepanz mehr Verlierer als Gewinner hervorbringen, außer der Mensch besinnt sich auf seinen größten gesellschaftlichen und individuellen Schatz: Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Erfahrung.
Der einflussreiche Soziologe Richard Sennett, erinnert in seinem Buch „Handwerk“ daran, dass die Entwicklung von Hirn und Hand eine untrennbare Einheit bilden; dass kausales Denken im Umgang aller fünf Sinne mit den Materialien der Welt entsteht und handwerkliche Intelligenz, wie Aufmerksamkeit, Fantasie, Improvisations- und Kombinationsgabe, in jedem Menschen geboren wird.
Sennett geht so weit zu behaupten, dass im Moment, wo die Verbindung zwischen Hirn und Hand nicht mehr funktioniert, das Hirn verlieren wird. Ohne Materialbewusstsein und ohne Kenntnis vom Machen der Dinge seien Menschen als Bürger und Konsumenten nicht urteilsfähig. Das Brachliegen ihrer produktiven Potenzen beschädige Charaktereigenschaften wie Stolz, Bindungsfähigkeit, Engagement und Loyalität. Sennett sieht eine Welt voraus, in der die übergroße Mehrzahl der Menschen zu bloßen Anhängseln eines kapitalgetriebenen technologischen Prozesses wird.
Warum ist Kommunikation und Kommunikationsfähigkeit des Einzelnen deshalb so wichtig?
Kommunikation ist der Flaschenhals, durch den alles durch muss. Leider lernen wir in der heutigen Gesellschaft keine bedeutungsvolle Kommunikation oder wissen gar nicht, was das eigentlich ist. Häufig stammt der Umgang mit Sprache und Botschaft meist noch aus dem Industriezeitalter mit seiner historischen Prägung aus Befehl und Gehorsam. Und da diese Form der Kommunikation immer auch ein Ausdruck von Macht und Missbrauch ist, wird sie gerade bei den sozial Schwächeren zu einer destruktiven und menschenverachtenden Waffe. Die Digitalisierung ist hier keine Hilfe, eher ein zusätzliches Instrument der Macht. Gerade Gesellschaften in historischen Umbruchssituationen wie z.B. Indien sind hier besonders gefährdet.
Hinzu kommt, dass die meisten Menschen den Dreisprung in der Analyse ihres Lebens und ihrer biografischen Zusammenhänge nicht schaffen. Dieser besteht aus der Bewusstmachung der eigenen Biografie und seiner relevanten Ereignisse und Bezüge. Dazu gehört das Bewusstsein, dass es ein emotionales Spannungsfeld aus Angst und Sehnsucht gibt, welches uns entscheiden oder mit Dingen, die wir nicht beeinflussen können, umgehen lässt. Dieses Spannungsfeld bzw. dessen Auswirkungen lassen sich aber oft nicht aus der eigenen Biografie erklären, also muss ich meine biografischen Bezüge anschauen und mir diese bewusst machen. Das ist dann das Angst- und Sehnsuchtsspannungsfeld der Eltern, Großeltern, oft ganz anders beeinflusst durch historischer Einflüsse wie Krieg, Krankheit, mangelnde Kenntnisse oder Bildung, andere soziale und gesellschaftliche Verhältnisse etc. Nur mit diesem Bewusstsein komme ich zu einer Erkenntnis für mein eigenes Leben und kann persönliche Fehleinschätzungen und Verhaltensweisen aufdecken, die sich nicht aus der eigenen Biografie erklären lassen.
Ich brauche Bewusstsein und Erkenntnis für den schwierigsten Teil im Umgang einer jeden Biografie, die Konsequenz oder Verhaltensänderung, wenn es denn gewünscht ist oder eine Verbesserung erwarten lässt. Außerdem hilft Bewusstmachung und Erkenntnis bei drastischen und unfreiwilligen Lebenswenden oder schwierigen Grundvoraussetzungen wie die indische Lebensrealität vieler Gesellschaftsschichten. Dieser Dreisprung ist unabdingbar für die seelische Gesundheit und den Schutz vor psychischen oder physischen Schäden, der dauerhaften Überbelastung oder der mangelnden Entspannung in unserer modernen Gesellschaft.
Hinzu kommt auch der Wandel von der Industriegesellschaft zur Wissens- und Informationsgesellschaft, die eine völlig andere Kommunikationsfähigkeit erfordert. Zukünftig kommt es auf drei Kernkompetenzen an: Kommunikationsfähigkeit, soziale Kompetenz und seelische Gesundheit. Leider wird Kommunikation nirgendwo vernünftig gelernt, gelehrt und gelebt, weder in den Familien oder brüchigen sozialen Gefügen heute, als auch in der Berufsausbildung, den Universitäten oder auch in den Unternehmen. In Indien macht sich kaum jemand überhaupt Gedanken zu Kommunikationsunfähigkeit oder Kommunikationsdefiziten. Eigentlich müsste es dort wie hier ein Schulfach Kommunikation geben, welches bei dem Austausch von Lebensgeschichten und Lebenserfahrung in der Familie beginnt, diese lebensrelevanten Prozesse im Berufsleben beschreibt und aufzeigt, was das wiederrum für den Lebensabend bedeutet. Biografische Kommunikation ist immer auch ein Umgang mit der Endlichkeit des Lebens.
Die zweite Kernkompetenz ist die soziale Kompetenz. Im Industriezeitalter hatte der Chef immer Recht, der Abteilungsleiter auch, schließlich war sein Schreibtisch länger und er hatte ein Fenster mehr im Büro. Heute arbeiten die Menschen projektbezogener und das bedeutet, dass ich mit meinem Wissen und meiner Expertise heute der Boss in einem Projekt bin, morgen aber nur eine Randfigur, weil dann der Praktikant mehr weiß und kann als ich. Hier muss ich also soziale Kompetenz beweisen und auch mal zurückstecken können. Der Wandel fällt bei der Konditionierung durch althergebrachte Verhaltensweisen besonders schwer, besonders natürlich, wenn ein noch tief verwurzeltes religiöses oder gesellschaftliches Normen- und Wertesystem eben das verhindert.
Durch die schnellen und oft drastischen Veränderungsprozesse, die sich aus dem Leben in einer technologischen Wissens- und Informationsgesellschaft ergeben, kommt es zur dritten Kernkompetenz bzw. persönlichen Herausforderung und gesellschaftlichen Aufgabe, der seelischen Gesundheit. Die schnelle Erfassung und Priorisierung von Informationen, der ständige Wandel in Abläufen, all das macht Menschen Angst, lässt sie verharren, blockieren oder sogar sabotieren, am eigenen Leben aber auch dem der Mitmenschen.
Kommunikation und das Nutzen analoger Fähigkeiten im digitalen Zeitalter ist also eine Mammutaufgabe für ein Land wie Indien mit 1,3 Milliarden Menschen und einer gelenkten Volkswirtschaft und seinen vielfältigen Problemen.
Der Autor Matthias Grenda ist seit 1988 als Medien- und Kommunikationsberater, Kommunikationstrainer, freier Autor und Querdenker tätig.
Text: Matthias Grenda
Bild: Pixabay
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