Bewölkter Deutscher Bierhimmel

von | Apr 23, 2007 | Deutsch, Wirtschaft | 0 Kommentare

Trotz einer leichten Erholung im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft sind die goldenen Zeiten für die meisten deutschen Brauer längst passé. Immer mehr mittelständische Brauereien müssen schließen – und die Deutschen trinken immer weniger Bier.

Allen Brüsseler Unkenrufen zum Trotz hat das auf Reinheitsgebot von 1516 auch die ersten 50 Jahre der europäischen Einigung überlebt. 1987 haben die deutschen Brauer freiwillig seine Gültigkeit bekräftigt: So verwenden sie bis heute ausschließlich Gersten- oder Weizenmalz, Hopfen und Wasser. „Man könnte froh sein, wenn die Luft so rein wäre wie das Bier“, sagte der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Zwar haben die Tschechen Deutschland im Pro-Kopf-Verbrauch längst überholt und keiner der fünf größten Bierproduzenten der Welt hat seinen Stammsitz in Deutschland. Doch noch immer findet der Biertrinker hier zu Lande die weltweit größte Auswahl an Brauereien vor.

Allerdings ist sowohl die Zahl der Braustätten als auch der Bierkonsum deutlich zurückgegangen. Von den 2.783 Brauereien, die es 1950 noch in der Bundesrepublik gab, haben bis heute mehr als die Hälfte den Betrieb eingestellt. Rund zwei Drittel der einst 1.800 bayerischen Brauereien fielen dem Konzentrationsprozess zum Opfer, im einstigen West-Berlin überlebte von 17 Betrieben nur ein einziger. Verändert hat sich auch die Verteilung des Bierausstoßes, den man in Hektolitern misst (1 hl = 100 Liter). Brauten 1950 nur 17 Brauereien mehr als 120.000 hl jährlich, so stoßen heute 29 Brauerereien jeweils über eine Million hl aus. Vor allem kleinere und mittelständische Betriebe mussten schließen, ein Trend, dem lediglich Kleinstbrauereien erfolgreich entgegensteuern.

Dass sich trotz des Aderlasses bei den Mittelständlern die Gesamtzahl der Braustätten in den vergangenen 25 Jahren stabilisieren konnte, lag neben der Wiedervereinigung vor allem an den zahlreichen neu gegründeten Gasthausbrauereien. Rund 400 solcher Micro-Breweries mit unter 5.000 Hektolitern Jahresausstoß schossen in den vergangenen 25 Jahren vor allem in den Universitätsstädten wie Pilze aus dem Boden. Ihr unfiltriertes, naturtrübes Bier vertreiben sie direkt an der Braustätte. Meist kann der Besucher hier die Anlagen besichtigen und im Braustüberl oder im Biergarten eine unverwechselbare Atmosphäre genießen. Außer Haus verkaufen nur wenige, und wenn, dann meist im Siphon, einem zwei Liter fassenden, formschönen Gefäß. Kaum eine dieser Trendbrauereien produziert in einem ganzen Jahr mehr Bier als ein deutscher Großbetrieb in ungefähr zwei Stunden. Ihrerseits erreichen die zehn größten deutschen Brauereien zusammen nicht einmal ein Drittel des Ausstoßes von 86,7 Millionen hl, den der US-Konzern Anheuser Bush mit seinen beiden weltweit führenden Marken Budweiser und Bud Light erzielt.In diese Dimensionen konnte – auf Grund der noch immer starken Segmentierung in der Branche – bislang noch keine deutsche Brauerei vordringen.

Doch wie lange können sich die verbliebenen, oft noch familiär geführten mittelständischen Betriebe noch halten? Sind sie doch darauf angewiesen, ihr Bier „um den Schornstein herum“ zu verkaufen, während die Marktführer es bundes- und weltweit mit einem gigantischen Werbeaufwand vertreiben.

Als die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 den deutschen Brauern erstmals seit 1994 wieder eine Steigerung des Absatzes bescherte, profitierten vor allem die durch Fernsehspots flächendeckend bekannten Marken davon. So konnte die Krombacher Brauerei, deren Pils die meistverkaufte Biermarke in Deutschland ist, ihren Ausstoß um 2,7 Prozent auf 5,7 Millionen Hektoliter steigern. Den Großbetrieben bringt ein wachsender Ausstoß einen enormen, überproportionalen Anstieg der Produktivität, die sie auch dadurch steigern, dass sie oft nur eine Biersorte herstellen. Mit der Vielfalt von mancherorts bis zu zwölf gebrauten oder vertriebenen Sorten versuchen die mittelgroßen Brauereien dagegenzuhalten. Eine sinkende Nachfrage trifft sie am empfindlichsten, weil sie sich meist außerstande sehen, diese durch neue Absatzmärkte auszugleichen. Schließlich relativiert sich auch das 2006 erzielte Wachstum von 1,4 Prozent: Es ist vor allem dem um 17,7 Prozent gestiegenen Absatz von den insbesondere bei jüngeren Leuten beliebten Mixgeträngen aus Bier mit Limonade, Cola oder Fruchtsäften zu verdanken, während das unvermischte Bier lediglich um 0,9 Prozent zulegen konnte. Betrachtet man die Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs der Deutschen in den letzten 15 Jahren, so ist ein Rückgang von 141,9 im Jahre 1991 auf 111,6 Liter 2006 zu verzeichnen – das sind rund 30 Liter oder 21,4 Prozent. Um diesen Trend umzukehren, wünscht sich die Brauwirtschaft, dass jener alte Trinkspruch wieder häufiger beherzigt wird, der am Schluss dieses Ausflugs in die deutsche Bierlandschaft nicht fehlen darf: „Genieß heut froh Bier, Weib und Gesang – und rät der Arzt zur Mäßigung, dann lass erst mal das Singen“.

Georg und Roland Reischl

 

Die deutschen Biersorten

Für die brauereitechnische Einteilung der Biere in ober- und untergärige sorgt die Hefe, für die geografische Verteilung das Klima. Die obergärige Hefe bildet zusammenhängende Kolonien, schwimmt nach der Gärung oben und kann abgeschöpft werden. Während sie bei Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad arbeitet, will es die sich am Boden absetzende untergärige Hefe kühler haben. Weil die Winter in Süddeutschland länger und kälter sind als etwa im Rheinland, braute man in Württemberg und Bayern deshalb schon frühzeitig überwiegend untergäriges Bier. Im Frühjahr gebraut, reichte und hielt es meistens bis in den September. In Köln und Düsseldorf hingegen dominieren bis heute die traditionellen obergärigen Sorten „Kölsch“ und „Alt“.

Jüngeren Datums ist die Verbreitung des „Pils“, das mit rund zwei Dritteln nach wie vor den Markt beherrscht. Bayerische Braumeister, die ins böhmische Pilsen auswanderten, verwendeten das gute Wasser und den charakteristischen Hopfen in der Region für ein stark gehopftes Bier, das im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland vor allem in preußische Kehlen wanderte.

Dass man in Indien kein Bier unter dieser Bezeichnung braut, liegt daran, dass diese Sorte unter den außerhalb Deutschlands üblichen Sammelbegriff „Lager“ fällt. Ursprünglich war Lager ein Bier, das – wie das in Bayern gebraute untergärige – drei bis vier Monate im Keller lagerte, damit es bis in den Herbst hielt. „Exportbiere“ nannte man in Deutschland jene Produkte, die man unbeschadet über Wasser und Land transportieren konnte. Wie alle untergärigen deutschen Biere gehört auch das Export zur „Lager-Familie“.

Von den obergärigen Bieren hat sich in den letzten Jahren das auch „Weizenbier“ genannte „Weißbier“ von Süddeutschland aus über die ganze Republik verbreitet. Der Name leitet sich vom Weizen ab, dessen Malz beim Brauen dieses prickelnd-erfrischenden Bieres mit viel Kohlensäure Verwendung findet. Daneben gibt es „Bock“ als Starkbiere und seit jüngster Zeit den umgekehrten Trend zu alkoholfreien bzw. alkohol- und kalorienarmen „Leichtbieren“. Auf der „Light“-Welle schwimmen neben weiblichen Konsumenten auch viele gesundheits- und führerscheinbewusste männliche Biertrinker mit. Vor allem junge Deutsche sind es schließlich, die den Mixgetränken aus Bier mit Limonade, Cola, Fruchtsäften oder anderen alkoholfreien Zusätzen zuletzt zweistellige Zuwachsraten beschert haben.

Georg und Roland Reischl

Bild: Münchner Hofbräuhaus_ BBMC © Tobias Ranzinger

Besuchen Sie mich im Sozialen Netzwerk.

Publikation

Neueste Podcast Episoden

Episode 4/23 Weisheitswerkstatt: Frugale Innovation Praxisbeispiel mit Flo Oberhofer

Auch diesesmal spreche ich über das Thema Frugale Innovation. Zusammen mit Flo Oberhofer, einem deutschen Nachhaltigkeits-Berater, der in Indien lebt, unterhlaten wir uns über die Praxis.

In diesem Podcast unterhalten wir uns über „einfache“ Technologien, warum Over-Engineering in Ländern wie Indien nicht hilfreich sind, welchen Impact Flo mit seinem Team von Terra Preta in Indien hat und wie dadurch den Bauern geholfen wird, die natürliche und erschwingliche Dünger dadurch erhalten.

Terra Preta Impact Innovations LLP wurde gegründet, um in der EU ansässige Unternehmen und Organisationen bei der Entwicklung von Impact-Projekten und der Gründung von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit in Indien zu unterstützen.

Mit einem starken Fokus auf bewusstes und soziales Unternehmertum arbeitet Flo mit seinem Team in verschiedenen SDG-bezogenen Bereichen wie Biodiversität, CleanTech, Kreislaufwirtschaft, verantwortungsvolle Beschaffung oder regenerative Landwirtschaft. Durch die Gründung unabhängiger Unternehmen helfen sie Unternehmen, ihre Wertschöpfungsketten in Richtung eines zukunftsfähigen, nachhaltigen Ansatzes neu zu definieren.

Pixabay Image by Annca

Episode 03/23 Weisheitswerkstatt: Frugale Innovation mit Prof. Dr. Rajnish Tiwari

Die Welt verändert sich in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit. Wir haben eigentlich schon längst verstanden, dass höher, schneller und weiter nicht die Lösung für die Zukunftsfähigkeit der Menschheit Bestand hat. „Weil wir uns es nicht mehr erlauben können als globale Gesellschaft unseren Ressourcenverbrauch so fortzuführen wie bisher, müssen wir … uns Gedanken machen über unsere Produktarchitektur. Das ist der Beitrag von frugaler Innovation im Sinne der Nachhaltigkeit, der den Ressourcenverbrauch in Hinblick auf die Effizienz und auf die Effektivität auf den Prüfstand stellt.“
Das Gespräch mit Prof. Dr. Rajnish Tiwari gibt einen tiefen Einblick in das Thema „Frugale Innovation“ i.S.v. „angemessen“. Was kann die westliche Welt von Entwicklungen in Schwellenländern lernen und welche Ausswirkungen haben diese auf die Produktbeschaffenheit, auf den Weg den auch die westliche Welt gehen muss, um Ressourcenverschwendung zu vermeiden? Das und vieles mehr besprechen wir in diesem Podcast.

Viel Freude beim Reinhören.

Episode 02/23 Weisheitswerkstatt: Cradle to Cradle – nachhaltigkeit mit Heike Petersen Cunza

Heike Petersen Cunza hat mit Wellicious eine Marke für Yogakleidung entwickelt, die auf ehrliche und nachvollziehbare Nachhaltigkeit setzt. Wir sprechen über ihren Weg sich selbständig zu machen, welche inneren und äußeren Prozesse die dreifache Mutter durchlaufen ist und welche Hürden es beim Aufbau einer nachhaltigen Marke gibt. Wir durchleuchten in diesem Gespräch unterschiedliche Aspekte, die notwendig sind um die Komplexität , die dahinter steckt, auch beGREIFEN zu können. Danke Heike, für dieses wertvolle Interview, von denen Unternehmen, Zulieferer und Verbraucher lernen können.

Pixabay Image by Gert Altmann

Episode 01/23 Weisheitswerkstatt: SCRUM in Internationalen Teams mit Elisabeth Tieben

Was ist Scrum? Wie lässt sich agiles Arbeiten im internationalem Kontext gut gestalten? Welche Herausforderungen gibt es, wenn agiles Arbeiten in einem Team das einerseits kollektivistisch und hierarchisch, andererseits Individualistisch geprägt ist? Die selbständige systemische Beraterin, Elisabeth Tieben, hat als Angestellte Produktmanagerin über 12 Jahre Erfahrung in agilen Projektteams gesammelt, bevor sie sich in 2022 selbständig gemacht hat. Mit ihr unterhalte ich mich über die obigen Fragestellungen. Viel Freude beim Reinhören.

Episode 1/22: In der Weisheitswerkstatt interviewt Daniela Sarrazin mich über „Aushalten und Vertrauen“

Der erste Podcast in diesem Jahr, und dieses mal werde ich von Daniela Sarrazin interviewt. Daniela beschreibt in ihrer Einleitung den Inhalt folgendermaßen: „In dem heutigen Podcast darf ich ein wundervolles, fast schon philosophisches Gespräch mit Purvi-Shah-Paulini führen. Dabei geht es uns um das „Aushalten und Vertrauen“. Mit einer wunderbaren Leichtigkeit widmen wir uns den Themen: „Aushalten dessen was ist“; dem, was der“ Veränderungsprozess mit uns macht“; „Vertrauen in mich selbst“; „Akzeptanz dessen was mein Gegenüber ausmacht“; dem „Vertrauen ins eigene Leben“; und letztendlich dem „Glauben daran, das alles gut wird.“ Mehr dazu in meinem Podcast….“

Danke, Daniela, für die Leichtigkeit in diesem Interview. Es hat mir großen Spass gemacht mal auf der „anderen Seite“ zu sein.