Bewölkter Deutscher Bierhimmel
Trotz einer leichten Erholung im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft sind die goldenen Zeiten für die meisten deutschen Brauer längst passé. Immer mehr mittelständische Brauereien müssen schließen – und die Deutschen trinken immer weniger Bier.
Allen Brüsseler Unkenrufen zum Trotz hat das auf Reinheitsgebot von 1516 auch die ersten 50 Jahre der europäischen Einigung überlebt. 1987 haben die deutschen Brauer freiwillig seine Gültigkeit bekräftigt: So verwenden sie bis heute ausschließlich Gersten- oder Weizenmalz, Hopfen und Wasser. „Man könnte froh sein, wenn die Luft so rein wäre wie das Bier“, sagte der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Zwar haben die Tschechen Deutschland im Pro-Kopf-Verbrauch längst überholt und keiner der fünf größten Bierproduzenten der Welt hat seinen Stammsitz in Deutschland. Doch noch immer findet der Biertrinker hier zu Lande die weltweit größte Auswahl an Brauereien vor.
Allerdings ist sowohl die Zahl der Braustätten als auch der Bierkonsum deutlich zurückgegangen. Von den 2.783 Brauereien, die es 1950 noch in der Bundesrepublik gab, haben bis heute mehr als die Hälfte den Betrieb eingestellt. Rund zwei Drittel der einst 1.800 bayerischen Brauereien fielen dem Konzentrationsprozess zum Opfer, im einstigen West-Berlin überlebte von 17 Betrieben nur ein einziger. Verändert hat sich auch die Verteilung des Bierausstoßes, den man in Hektolitern misst (1 hl = 100 Liter). Brauten 1950 nur 17 Brauereien mehr als 120.000 hl jährlich, so stoßen heute 29 Brauerereien jeweils über eine Million hl aus. Vor allem kleinere und mittelständische Betriebe mussten schließen, ein Trend, dem lediglich Kleinstbrauereien erfolgreich entgegensteuern.
Dass sich trotz des Aderlasses bei den Mittelständlern die Gesamtzahl der Braustätten in den vergangenen 25 Jahren stabilisieren konnte, lag neben der Wiedervereinigung vor allem an den zahlreichen neu gegründeten Gasthausbrauereien. Rund 400 solcher Micro-Breweries mit unter 5.000 Hektolitern Jahresausstoß schossen in den vergangenen 25 Jahren vor allem in den Universitätsstädten wie Pilze aus dem Boden. Ihr unfiltriertes, naturtrübes Bier vertreiben sie direkt an der Braustätte. Meist kann der Besucher hier die Anlagen besichtigen und im Braustüberl oder im Biergarten eine unverwechselbare Atmosphäre genießen. Außer Haus verkaufen nur wenige, und wenn, dann meist im Siphon, einem zwei Liter fassenden, formschönen Gefäß. Kaum eine dieser Trendbrauereien produziert in einem ganzen Jahr mehr Bier als ein deutscher Großbetrieb in ungefähr zwei Stunden. Ihrerseits erreichen die zehn größten deutschen Brauereien zusammen nicht einmal ein Drittel des Ausstoßes von 86,7 Millionen hl, den der US-Konzern Anheuser Bush mit seinen beiden weltweit führenden Marken Budweiser und Bud Light erzielt.In diese Dimensionen konnte – auf Grund der noch immer starken Segmentierung in der Branche – bislang noch keine deutsche Brauerei vordringen.
Doch wie lange können sich die verbliebenen, oft noch familiär geführten mittelständischen Betriebe noch halten? Sind sie doch darauf angewiesen, ihr Bier „um den Schornstein herum“ zu verkaufen, während die Marktführer es bundes- und weltweit mit einem gigantischen Werbeaufwand vertreiben.
Als die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 den deutschen Brauern erstmals seit 1994 wieder eine Steigerung des Absatzes bescherte, profitierten vor allem die durch Fernsehspots flächendeckend bekannten Marken davon. So konnte die Krombacher Brauerei, deren Pils die meistverkaufte Biermarke in Deutschland ist, ihren Ausstoß um 2,7 Prozent auf 5,7 Millionen Hektoliter steigern. Den Großbetrieben bringt ein wachsender Ausstoß einen enormen, überproportionalen Anstieg der Produktivität, die sie auch dadurch steigern, dass sie oft nur eine Biersorte herstellen. Mit der Vielfalt von mancherorts bis zu zwölf gebrauten oder vertriebenen Sorten versuchen die mittelgroßen Brauereien dagegenzuhalten. Eine sinkende Nachfrage trifft sie am empfindlichsten, weil sie sich meist außerstande sehen, diese durch neue Absatzmärkte auszugleichen. Schließlich relativiert sich auch das 2006 erzielte Wachstum von 1,4 Prozent: Es ist vor allem dem um 17,7 Prozent gestiegenen Absatz von den insbesondere bei jüngeren Leuten beliebten Mixgeträngen aus Bier mit Limonade, Cola oder Fruchtsäften zu verdanken, während das unvermischte Bier lediglich um 0,9 Prozent zulegen konnte. Betrachtet man die Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs der Deutschen in den letzten 15 Jahren, so ist ein Rückgang von 141,9 im Jahre 1991 auf 111,6 Liter 2006 zu verzeichnen – das sind rund 30 Liter oder 21,4 Prozent. Um diesen Trend umzukehren, wünscht sich die Brauwirtschaft, dass jener alte Trinkspruch wieder häufiger beherzigt wird, der am Schluss dieses Ausflugs in die deutsche Bierlandschaft nicht fehlen darf: „Genieß heut froh Bier, Weib und Gesang – und rät der Arzt zur Mäßigung, dann lass erst mal das Singen“.
Georg und Roland Reischl
Die deutschen Biersorten
Für die brauereitechnische Einteilung der Biere in ober- und untergärige sorgt die Hefe, für die geografische Verteilung das Klima. Die obergärige Hefe bildet zusammenhängende Kolonien, schwimmt nach der Gärung oben und kann abgeschöpft werden. Während sie bei Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad arbeitet, will es die sich am Boden absetzende untergärige Hefe kühler haben. Weil die Winter in Süddeutschland länger und kälter sind als etwa im Rheinland, braute man in Württemberg und Bayern deshalb schon frühzeitig überwiegend untergäriges Bier. Im Frühjahr gebraut, reichte und hielt es meistens bis in den September. In Köln und Düsseldorf hingegen dominieren bis heute die traditionellen obergärigen Sorten „Kölsch“ und „Alt“.
Jüngeren Datums ist die Verbreitung des „Pils“, das mit rund zwei Dritteln nach wie vor den Markt beherrscht. Bayerische Braumeister, die ins böhmische Pilsen auswanderten, verwendeten das gute Wasser und den charakteristischen Hopfen in der Region für ein stark gehopftes Bier, das im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland vor allem in preußische Kehlen wanderte.
Dass man in Indien kein Bier unter dieser Bezeichnung braut, liegt daran, dass diese Sorte unter den außerhalb Deutschlands üblichen Sammelbegriff „Lager“ fällt. Ursprünglich war Lager ein Bier, das – wie das in Bayern gebraute untergärige – drei bis vier Monate im Keller lagerte, damit es bis in den Herbst hielt. „Exportbiere“ nannte man in Deutschland jene Produkte, die man unbeschadet über Wasser und Land transportieren konnte. Wie alle untergärigen deutschen Biere gehört auch das Export zur „Lager-Familie“.
Von den obergärigen Bieren hat sich in den letzten Jahren das auch „Weizenbier“ genannte „Weißbier“ von Süddeutschland aus über die ganze Republik verbreitet. Der Name leitet sich vom Weizen ab, dessen Malz beim Brauen dieses prickelnd-erfrischenden Bieres mit viel Kohlensäure Verwendung findet. Daneben gibt es „Bock“ als Starkbiere und seit jüngster Zeit den umgekehrten Trend zu alkoholfreien bzw. alkohol- und kalorienarmen „Leichtbieren“. Auf der „Light“-Welle schwimmen neben weiblichen Konsumenten auch viele gesundheits- und führerscheinbewusste männliche Biertrinker mit. Vor allem junge Deutsche sind es schließlich, die den Mixgetränken aus Bier mit Limonade, Cola, Fruchtsäften oder anderen alkoholfreien Zusätzen zuletzt zweistellige Zuwachsraten beschert haben.
Georg und Roland Reischl
Bild: Münchner Hofbräuhaus_ BBMC © Tobias Ranzinger
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